Krankenversicherung
„Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte“. (1)
Mit diesem Satz kommentierte Reichskanzler Otto von Bismarck das am 15. Juni 1883 erlassene "Gesetz betreffend der Krankenversicherung der Arbeiter", welches zur Einführung der ersten nationalen Sozialversicherung weltweit führte. In den Jahren darauf folgten die Unfallversicherung sowie die Invalidenversicherung. Man wollte der wachsenden sozialdemokratischen Bewegung durch den industriellen Aufschwung und dem damit verbundenen wachsenden Proletariat Einhalt gebieten. Zudem sollte der Verarmung der Arbeiterklasse durch Arbeitsausfälle entgegengekommen werden, um so die wirtschaftliche sowie die soziale Situation zu stabilisieren. Im Laufe der Jahre kam es immer wieder zu Anpassungen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Die GKV ist Teil des Systems der sozialen Sicherung. Diese setzt sich zusammen aus Fürsorge (Sozialhilfe, Krankenhilfe), Versorgung (u.a. Beamtenpensionen, Beihilfe bei Krankheit) und Sozialversicherungen. Wie der Name andeutet, beruhen die Sozialversicherungen auf Beitragszahlungen. Neben der GKV gibt es die Gesetzliche Unfallversicherung, die Gesetzliche Rentenversicherung, die Gesetzliche Arbeitslosenversicherung und die Gesetzliche Pflegeversicherung. (2)
Zum Zeitpunkt der Einführung der GKV Ende des 19. Jahrhunderts waren lediglich Industriearbeiter und Beschäftigte in Handwerks- und Gewerbebetrieben krankenversicherungspflichtig. (3) Heute hat sich der Kreis der Pflichtversicherten (§ 5 SGB V) ausgeweitet und schließt Arbeitnehmer*innen, Arbeitslose, land- und forstwirtschaftliche Unternehmer*innen, Künstler*innen, Publizisten*innen, Rentner*innen sowie Studenten*innen mit ein. Familienangehörige eines Mitglieds sind beitragsfrei mitversichert, sofern sie kein eigenes Einkommen erzielen. (4)
„Das Solidaritätsprinzip ist das prägende Merkmal der gesetzlichen Krankenversicherung. Man bezahlt nach seiner Leistungsfähigkeit, aber man erhält nach seiner Bedürftigkeit. Die Gesunden zahlen für die Kranken, die Jungen für die Alten, die Alleinstehenden für die Familien und die Einkommensstarken für die Einkommensschwachen.“ (5)
In Deutschland sind rund 73,1 Millionen Bürger*innen gesetzlich krankenversichert, bei einer Anzahl von 109 Krankenkassen (Stand 01. Juli 2019). (6) Dies entspricht 88,3% der Gesamtbevölkerung. Der Versicherungsbeitrag wird abhängig vom Einkommen bezahlt. Ab einer gewissen Einkommenshöhe wird der weitere Teil des Einkommens für die Beitragsberechnung nicht berücksichtigt. Diese Einkommenshöhe wird Beitragsbemessungsgrenze genannt und liegt 2019 bei 54.450 Euro pro Jahr bzw. 4.537,50 Euro pro Monat. Die Gruppe der bereits genannten Pflichtversicherten hat erst ab einer gewissen Einkommenshöhe die Möglichkeit, in eine private Krankenkasse zu wechseln. Diese Einkommensgrenze nennt sich Versicherungspflichtgrenze und liegt 2019 bei 60.750 Euro pro Jahr bzw. 5062,50 Euro pro Monat. (7)
Die Beiträge der Versicherten werden in gleichen Teilen von Arbeitnehmer (7,3%) und Arbeitgeber (7,3%) bezahlt. (8) Neben den bruttolohnbezogenen Beiträgen von insgesamt 14,6% des Einkommens tragen der steuerfinanzierte Bundeszuschuss sowie die einkommensabhängigen Zusatzbeiträge der Versicherten zur Finanzierung der GKV bei. Der steuerfinanzierte Bundeszuschuss ist seit 2017 festgeschrieben auf 14,5 Milliarden Euro. (9) Das Geld aus dem Bundeszuschuss sowie die Beiträge der Arbeitgeber und der Versicherten fließen zunächst in den Gesundheitsfonds. Neben der Grundpauschale pro Versichertem bestimmen Alter, Geschlecht und Krankheiten der Versicherten (Risikostrukturausgleich) die Höhe der finanziellen Zuweisung einer Krankenkasse aus dem Gesundheitsfond. Der Risikostrukturausgleich stellt den fairen Wettbewerb unter den Gesetzlichen Krankenkassen sicher. (10) Reichen die finanziellen Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds der Krankenkasse nicht aus, um die Ausgaben zu decken, haben sie die Möglichkeit, einkommensabhängige Zusatzbeiträge zu erheben. (11) Die Höhe der Zusatzbeiträge kann von der Krankenkasse selbst festgelegt werden. Wenn eine Krankenkasse einen Zusatzbeitrag erhebt oder erhöht, können die Mitglieder die jeweilige Krankenkasse direkt wechseln.
Im Gegensatz zu dem Solidaritätsprinzip der Gesetzlichen Krankenversicherung beruht die Private Krankenversicherung (PKV) auf dem Äquivalenzprinzip. Dies bedeutet, dass die jeweilige Beitragshöhe eines Versicherten äquivalent vom Eintrittsalter, Geschlecht, Vorerkrankungen sowie dem Umfang der versicherten Leistungen abhängt. Die einzelnen Altersgruppen bilden Altersrückstellungen, um bei höheren Kosten im fortgeschrittenen Alter die Beiträge stabil zu halten. Im Jahr 2009 wurde der Basistarif in der PKV eingeführt. Die Leistung ist mit der der gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbar. Für die Beitragshöhe ist lediglich das Eintrittsalter ausschlaggebend. (12) Für den Basistarif besteht im Gegensatz zu anderen Tarifen der PKV Kontrahierungszwang. Dies bedeutet, dass sie zur Aufnahme aller Menschen, die die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen, verpflichtet sind, unabhängig von deren Gesundheitsstatus oder finanzieller Leistungskraft. (13) In Deutschland waren 2018 rund 8,74 Millionen Bürger*innen in einer PKV vollversichert. Der Verband der Privaten Krankenversicherung listet 2019 51 Mitgliedsunternehmen. (14)
Ein Wechsel aus der Privaten zurück in die Gesetzliche Krankenversicherung ist nicht ohne weiteres möglich, nach dem 55. Lebensjahr sogar fast unmöglich. Es soll vermieden werden, dass Versicherungsnehmer in jungen Jahren von den geringeren Beitragszahlungen der PKV profitieren und in höherem Alter auf Kosten der Solidargemeinschaft in die möglicherweise günstigere GKV wechseln. (15)
Trotz der seit 2009 eingeführten Krankenversicherungspflicht gibt es laut letztem Mikrozensus (2015) ca. 80.000 Personen ohne Krankenversicherung. Dies entspricht ca. 0,1% der Bevölkerung. (16)
Ein Gesundheitssystem, in dem ein kleiner Teil der Gesellschaft von Ärzten bevorzugt behandelt wird, ist kein faires System. Es gibt keine Patient*innen erster und zweiter Klasse. Wir streben nach einer einheitlichen Gesundheitsversorgung für Alle – unabhängig von Einkommen und Status.
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Thomas Freund
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Quellen:
1 Otto Von Bismarck, Gesammelte Werke (Friedrichsruher Ausgabe) 1924/1935, Band 9, S.195/196
2 https://www.bpb.de/politik/innenpolitik/gesundheitspolitik/72496/gkv-soziale-sicherung
3 https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/krankenversicherung/grundprinzipien/geschichte.html
4 https://www.bpb.de/politik/innenpolitik/gesundheitspolitik/72496/gkv-soziale-sicherung
5 https://www.bpb.de/politik/innenpolitik/gesundheitspolitik/72358/solidarprinzip?p=all
6https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Statistiken/GKV/Mitglieder_Versicherte/KM1_Januar_bis_Juni_2019.pdf
7 https://www.krankenkassenzentrale.de/wiki/beitragsbemessungsgrenze
8 https://www.bundesgesundheitsministerium.de/finanzierung-gkv.html
9 https://www.bundesgesundheitsministerium.de/finanzierung-gkv.html#c2376
10 https://www.bundesgesundheitsministerium.de/gesundheitsfonds.html#c2388
11 https://www.bundesgesundheitsministerium.de/finanzierung-gkv.html#c2376
12 https://www.aok-bv.de/lexikon/b/index_00227.html
13 https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/k/kontrahierungszwang.html
14 https://www.pkv.de/service/zahlen-und-fakten/
15 https://www.krankenversicherung.net/rueckkehr-gesetzliche#voraussetzungen
16 https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/2016/PD16_40_p002.html